Ist die Kunst des Savoir-faire am Verschwinden? | Löwenweiss

Im antiken Griechenland bezeichnete der Begriff Téchne nicht nur die Kunst, wie wir sie heute verstehen, sondern auch die praktischen Fertigkeiten und das professionelle Fachwissen, das in jeder manuellen und intellektuellen Tätigkeit steckt. Die Fähigkeit, ein Handwerk auszuüben, sei es das eines Schuhmachers oder eines Militärstrategen, wurde mit der Kunst eines Bildhauers oder eines Malers verglichen, denn beide beruhten auf der Kenntnis präziser Regeln und Verfahren, die durch Erfahrung in der Praxis bereichert wurden. Diese theoretischen und praktischen Kompetenzen sind die Grundlage für jede manuelle Arbeit: nur durch Kenntnis der Techniken und durch die Erfahrung ist der Handwerker (wie auch der Schneider und der Modelldesigner) in der Lage, funktionale und ästhetisch ansprechende Artefakte zu schaffen.

In den letzten zwei Jahrzehnten haben digitale Technologien die Welt der Industrie revolutioniert und dabei viele Vorgänge automatisiert, die einst von Menschen manuell ausgeführt wurden. Es ist schon einige Jahren her, als bekannt wurde, dass Tianyuan Garments, ein Zulieferer von Adidas, in seiner Produktionsstätte SewBots eingeführt hatte, Roboter, die ein T-Shirt in nur 22 Sekunden herstellen und mehr als 4.000 Kleidungsstücke pro Tag produzieren können. Diese Roboter können Stoffe mit größerer Präzision als ein Arbeiter und zu wesentlich geringeren Kosten zuschneiden, wodurch die Unternehmen ihre Gewinnspannen erhöhen. Die Automatisierung der Arbeit ermöglicht es den Unternehmen, schneller zu produzieren und mehr zu verdienen, während gleichzeitig das Risiko von Mängeln aufgrund menschlicher Fehler sinkt.

Doch selbst der ausgeklügelste Roboter erreicht seine Grenzen: er kann die Qualität eines Gewebes oder eines gefertigten Produkts nicht in der gleichen Weise beurteilen wie ein erfahrener Facharbeiter oder Handwerker, der in der Lage ist, ein fehlerhaftes Material oder Kleidungsstück von einem zu unterscheiden, das keine Mängel aufweist. Außerdem gehen bei der Massenproduktion die kleinen Unvollkommenheiten und Besonderheiten verloren, die das handgefertigte Artefakt einzigartig machen. Da es das Ergebnis der Téchne der Person ist, die es realisiert hat, kann das Hand-made-Produkt als künstlerisches Objekt betrachtet werden, das - im Gegensatz zum Massenprodukt - nicht nur einen wirtschaftlichen Wert hat, sondern in sich einen Mix aus unantastbaren Werten trägt. Dazu gehören die Liebe zum Detail, die Weitergabe alter Traditionen sowie die Qualität und Langlebigkeit des Produkts. 

Für die Herstellung unserer Hausschuhe verwenden wir 50 Jahre „alte“ Maschinen und geben den gesamten Produktionsprozess, vom Zuschnitt des Filzes über das Kleben der Sohle bis zur abschließenden Qualitätskontrolle, vertrauensvoll in die Hände von erfahrenen Handwerksmeistern. Diese Arbeitskräfte sind immer schwerer zu finden, denn Handwerk ist eine fordernde Tätigkeit und junge Menschen bevorzugen heute weniger anstrengende Berufe mit einem höheren sozialen Prestige. Wir können uns jedoch nicht vorstellen, den Menschen durch Maschinen zu ersetzen: unsere Hausschuhe würden an Qualität verlieren und zwischen den Millionen von Teilen aus der täglichen Serienproduktion untergehen.

Wenn wir eine Prognose wagen wollten, so wäre es wahrscheinlich, dass in zwanzig Jahren einige, bei der jüngeren Generation selten geworden manuellen Fertigkeiten besser bezahlt werden als die digitalen. In der Zwischenzeit wünschen wir uns, dass gerade junge Menschen den Wert des Savoir-faire wieder schätzen lernen, auch durch die einzigartige Schönheit eines Hausschuhs, der von Hand gefertigt wurde.